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27. Der Stromabnehmer.

Als Stromabnehmer wird im Vollbahnbetrieb ausnahmslos der aus dem Straßenbahnbetrieb bekannte Schleifbügel verwendet, allerdings in einer Form, die den besonderen Verhältnissen des Hochspannungsbetriebes angepaßt ist.

Die Schnellbahnversuche auf der Strecke Berlin—Zossen haben gezeigt, daß für die höchsten Geschwindigkeiten — 200 km und darüber — der Schleifbügel eine durchaus sichere Stromzuführung gewährleistet. Rollenstromabnehmer können bei größeren Geschwindigkeiten aus leicht begreiflichen Gründen nicht in Betracht kommen.

Die eigentliche Stromabnahme vermittelt ein Aluminiumbügel, welcher entweder massiv ist, oder Längsnuten zur Aufnahme von Schmierfett besitzt. Das zu diesem Zwecke verwendete Aluminium erhält einen geringen Kupferzusatz (etwa 6%), wodurch es eine gewisse Härte erlangt und wodurch gleichzeitig der Vorteil erreicht wird, daB die Bügeloberfläche blank bleibt, im Gegensatz zum reinen Aluminium, dessen Oberfläche oxydiert, wodurch ein hoher Übergangswiderstand entsteht. Es bilden sich infolgedessen an der Übertrittsstelle des Stromes kleine Lichtbögen, die den Bügel und den Fahrdraht angreifen. Außerdem wirkt das Aluminiumoxyd (Tonerde) schleifend auf den Fahrdraht.

Die Lebensdauer des Fahrdrahtes und des Bügels wird also durch den Kupferzusatz wesentlich erhöht. Nach den bisherigen Erfahrungen beträgt diese für den Bügel bei Personen- und Schnellzugsbetrieb etwa 10 000 km, bei Güterzugbetrieb etwa 8500 km (Fußnote 1).

Der Aluminiumbügel selbst wird am Stromabnehmer durch Schrauben befestigt.

Der Stromabnehmer wird in drei Formen ausgeführt, nämlich als Scherenabnehmer, Bügelabnehmer und in vereinzelten Fällen als Rutenabnehmer.

Als Ausführungsbeispiel für den am häufigsten verwendeten Scherenstromabnehmer diene Fig. 176.

Der Stromabnehmer ruht auf einem von vier Hochspannungs-Isolatorböcken getragenen Rahmen; die Isolation ist dabei eine doppelte und wird durch Rillenisolatoren gebildet. Auf dem Rahmen sind zwei die Scherenhebel tragende Wellen gelagert, die durch einen verschränkten Kettenantrieb derart miteinander verbunden sind, daß sich beide stets im entgegengesetzten Sinne um den gleichen Winkel drehen müssen. An den Scherenhebeln sind zwei oben durch Gelenke verbundene, aus Rohren hergestellte Rahmen drehbar befestigt und auf diesen sitzt der eigentliche Schleifbügel, und zwar so, daB er für sich allein federn kann. In der Ruhelage steht er senkrecht; bei der Fahrt stellt er sich schräg nach hinten. Beim Wechsel der Fahrtrichtung schlägt er von selbst auf die andere Seite um. Wegen seiner geringen Masse folgt er den kleinen Unregelmäßigkeiten des Fahrdrahtes sehr schnell. Bei größeren Höhenunterschieden federt das ganze Scherengestell. Der Scherenrahmen wird durch Druckluftzylinder aufgerichtet, die vom Führerstand aus gesteuert werden. Diese Zylinder sind in dem isolierten Rahmen untergebracht, so daß die beim Aufrichten des Stromabnehmers tätigen Kräfte in diesem Rahmen ausgeglichen sind. Die Isolatoren werden also auf diese Weise entlastet.

Durch die vorgehenden Kolben der Zylinder werden Spiralfedern gespannt. welche vermittelst Ketten und Scheiben die Scherenwellen zu drehen suchen. Diese Scheiben sind so geformt, daß der Anpressungsdruck des Bügels in allen Höhenlagen möglichst gleich — etwa 3 bis 4 kg — ist. In der Ruhestellung liegt der Schleifbügel tief und die Scherenrahmen sind hierbei zusammengeklappt, so daß die Rahmen wagerecht liegen.

In dieser Lage wäre es infolge des kleinen Hebelarms nicht möglich, den Stromabnehmer allein durch die Luftdruckzylinder aufzurichten. Um dies zu ermöglichen, sind besondere Aufwurffedern vorhanden, die von den Luftzylindern betätigt werden.

Weil die Luftzylinder unter elektrischer Spannung stehen, ist in die Luftleitung ein mit Billen versehenes Porzellanrohr eingeschaltet.

Da nun Preßluft erst dann durch den motorisch angetriebenen Verdichter erzeugt werden kann, wenn die Lokomotive unter Spannung steht, muß für die erste Inbetriebsetzung und für die Inbetriebnahme nach längeren Pausen dafür gesorgt werden, daß auf anderem Wege Druckluft erzeugt werden kann. Diesem Zweck dient eine Handluftpumpe, die in der Lokomotive untergebracht ist. Eine etwas andere Form des Scherenstromabnehmers zeigt Fig. 176 a nach einer Ausführung von Brown, Boveri & Cie. Die Abbildung erläutert sich von selbst.

Einen Bügelstromabnehmer zeigt Fig. 177. Jedes Stromabnehmergestell trägt zwei Stromabnehmer, von denen je einer für die Vorwärtsfahrt und die anderen für die Rückwärtsfahrt dienen. Auch diese Stromabnehmer werden durch Druckluft betätigt, und zwar werden die Stromabnehmer selbsttätig umgestellt, wenn der Führer den Fahrtrichtungsschalter im Motorstromkreis wendet. Zum Ausgleich des Luftdruckes, der den Stromabnehmer vom Fahrdraht wegzudrücken bestrebt ist, sind Windflügel vorgesehen, die so auf die Welle des Rahmens einwirken, daß sie den Stromabnehmer an den Fahrdraht pressen.

Bedingung für die Benutzung dieser beiden beschriebenen Stromabnehmer ist die, daß der Fahrdraht über dem Gleis hängt.

Die Maschinenfabrik Oerlikon hat nun für solche Fälle, wo aus irgendwelchen Gründen der Fahrdraht neben dem Gleis aufgehängt werden muß, den sog. Rutenstromabnehmer ausgebildet, dessen Wirkungsweise sich aus der Fig. 178 ergibt.

Die Stromabnehmerrute schwingt um eine Welle, auf die eine Spiralfeder so einwirkt, daß die Rute an den Fahrdraht gepreßt wird, wobei sich für die Lage des Fahrdrahtes ein großer Spielraum ergibt. —

Die Zahl der für eine Lokomotive zu verwendenden Stromabnehmer richtet sich zunächst nach der Stromstärke, die das Schleifstück mit Sicherheit führen kann. Wie bereits in Abschnitt 19 erwähnt, beträgt dieser Strom 100 Ampere, so daß also bei 15 000 Volt Betriebsspannung bei Lokomotivleistungen bis zu 1500 KW ein Stromabnehmer genügen würde.

Indessen wird man aus Gründen der Betriebssicherheit für dieses wichtige Glied der Lokomotive zweckmäßig zwei Stromabnehmer einbauen, soweit es die räumlichen Verhältnisse erlauben.

Fußnoten
1) Z. d. V. D. I. 1911, S. 1913